In der hektischen Arbeitswelt kommt es besonders darauf an, unaufgeregt im Zentrum der eigenen Kraft zu bleiben und seine Ressourcen anzuzapfen. Das setzt voraus, dass wir leicht beschwingt, locker und unverkrampft sind. Das gelingt nur, wenn Führungskräfte sich von unnötigem Ballast befreien und das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen.

Genau nach der Devise: Less is all you need. Der Ansatzpunkt zu mehr „less“ ist eine gesunde Haltung gegenüber sich und seiner Umwelt. Aber wie gelingt dies? Das möchte ich Ihnen in diesem Blog in 6 konkreten Aspekten erläutern.

Wer kennt das nicht? Das Gefühl, mal einen Gang runterschalten zu müssen, um Abstand von den eigenen Aufgaben und Nöten zu finden und dadurch mehr Klarheit zu gewinnen. Um sich durchdachter zu organisieren, den Ballast des bürokratisierten Führungsalltags abzuwerfen, mal wieder ein Teambuilding zu machen … Doch wir meinen: In der Hektik des Alltags gibt es einfach keine Chance, dies umzusetzen – ganz im Sinne des berühmten Ironie-Spruchs „Ich habe keine Zeit, Segel zu setzen; ich muss rudern“. Insbesondere als Unternehmer oder als Führungskraft sind die To-Do-Listen riesig und die Zeit knapp.

Pflichtbewusst kämpfen sich Führungskräfte durch eine Unmenge an Aufgaben, beißen die Zähne zusammen, ziehen Ihre Sachen durch, und vor lauter Aktionismus verlieren Sie den Fokus auf das Wesentliche. Und am Ende fehlt die Kraft.

Die Folge: So mancher Extremjobber wird im Burnout von der Überholspur direkt auf die Standspur abgebremst. Der Nährboden für depressive Erschöpfungssymptome, Unzufriedenheit, Verletzungen, Enttäuschungen und Frust wird dabei häufig noch nicht einmal durch die Arbeit gelegt. Vielmehr ist es oft unsere eigene überzogene Vorstellung von Arbeit, die uns erst ins Hamsterrad treibt und dann in die Erschöpfung führt. Wer als Power-Worker nur noch lebt, um zu arbeiten, überspringt meist eigene Bedürfnisse – und das geht auf Dauer nicht gut.

Daher greift es auch zu kurz, einzig an eine bessere Selbstorganisation zu denken, wenn es darum geht, mehr Zeit für das Eigentliche und Wichtige im Job zu finden. Natürlich ist es per se sinnvoll, überflüssige Meetings abzuschaffen, auf CC-Mails zu verzichten oder auch Arbeitsorganisations-Apps zu benutzen. Doch die meisten Effizienzprogramme strengen uns so sehr an, dass wir nicht durchhalten – vor allem dann nicht, wenn wir uns, wie meist üblich, gleich sehr viel auf einmal vornehmen. Und das auch noch mit hohem Anspruch.

Selbstmanagement fokussiert häufig auf das Abstellen eines Defizits. Das führt in die Abwehr: Auf unbewusster Ebene erzeugen Defizit-Fokus und das Schon-wieder-etwas-Müssen (nämlich effizienter sein) Widerstand. Statt gegen den Widerstand zu arbeiten ist es sehr viel sinnvoller, an der Leichtigkeit zu arbeiten.

So finden Sie zu einer gesunden Haltung

Ein wirklich hilfreicher – aber häufig übersehener – Andockpunkt ist eine neue, gesunde Haltung im Umgang mit der Arbeit und sich selbst. Um mehr Zeit zu haben, sich kraftvoller zu erleben, zu mehr Zufriedenheit zu finden und aus einer neu gefundenen Stärke heraus letztlich sogar mehr zu leisten, gilt es, „einfach nur“ einige ungute Einstellungen abzustellen – und damit einhergehend einige überflüssige Jobs und Anstrengungen über Bord zu werfen. Mit anderen Worten: Less is all you need. Man muss dabei nicht sein ganzes Lebenswerk an Verhaltensmustern in Frage stellen oder auflösen. Doch ist es sinnvoll, zumindest einmal am Fundament zu rütteln, um zu schauen: Hat das, was mir früher einmal wichtig war, heute überhaupt noch eine Bedeutung? Und hilft es mir weiter? Oder schadet es sogar? Und wenn es schadet: Warum miste ich es nicht aus?

Für ein Brennen ohne dabei auszubrennen empfiehlt sich – je nach individueller Polung – das Abwerfen von den Dingen, die uns als Ballast belasten.
Ich möchte Ihnen sechs Ballast-Sandsäcke, vorstellen, die Sie abwerfen können:

1. Less Selbstanpeitschen

Bei vielen Führungskräften – und besonders häufig beobachtet bei Frauen – nagt ständig das Gefühl „Ich genüge nicht“. Die Reaktion: Unaufhörlich wird noch eine Schippe draufgelegt. Bedingt durch vorgegebene Ziele, wirtschaftliche Verpflichtungen und dem schlechten Gewissen, allem nicht ausreichend gerecht zu werden, wird nicht nur krampfhaft am Funktionieren-Müssen festgehalten, sondern sich selbst noch mehr und noch mehr abverlangt. Nach dem Motto: „Genug ist nicht genug.“

Wer so tickt, darf sich die Devise vor Augen führen: Raus aus dem Machen und Müssen, rein ins Dürfen und Wollen. Empathische Selbstreflexion ist der erste Schritt aus dem Anpeitschungs- und Schuldsystem: sich beobachten, ohne zu bewerten. Und sich klarmachen: Das schlechte Gewissen und das permanente Selbstantreiben stehen häufig für ein von den Eltern oder aus der Schulzeit internalisiertes Leistungsmuster, welches später weiter perpetuiert wird. Die Ent-Pflichtung aus dem alten Verhaltensmuster setzt voraus, dass dieses Muster und das gegenwärtige eigene Verhalten erkannt werden. Der nächste Schritt ist, neue Verhaltensmuster anzulegen.

Aus der Neurophysiologie ist bekannt, dass sich Verhalten neu bahnen lässt, indem alte Muster vergessen und neue erlernt werden. Wirksam ist, das alte Muster nicht mehr mit den bekannten Gedanken –„Verdammt, du sitzt schon wieder vorm Fernseher! Check lieber nochmal die Mails!“ zu füttern. Dies bewirkt, dass die alte neuronale Bahnung verblasst.

Also nicht weiter Öl ins Feuer der erlernten Muster der Anstrengung gießen, sondern umgekehrt das Neue pushen – und Gedanken und Handlungen zu mehr Leichtigkeit und Freiheitsgraden neu bahnen: „Ich darf mir die Erlaubnis geben, mich treiben zu lassen“. Dadurch verstärkt sich die neue Verschaltung und wird zu einem neuen Muster.

Wenn der Modus in Richtung mehr Leichtigkeit verändert wird, entkrampft sich die Situation. Spürbar wird es vielleicht daran, dass die Nackenverspannungen weniger werden.

2. Less körperliche Selbst-Sabotage

Es führt zu nichts Gutem, sich jeden Tag um 7.30 müde und mit dem Blutdruck im Keller ins Büro zu zwingen, wenn man erst um 9.00 geistig wach wird und allmählich zur Leistungskraft findet. Den eigenen Biorhythmus auszuhebeln, bringt aus dem Takt und schadet. Jeder Mensch tickt unterschiedlich und hat unterschiedliche Ressourcen. Was notwendig ist für die eigene Balance und den persönlichen Biorhythmus, bedarf einer realistischen Selbsteinschätzung.

Wieviel Schlaf brauchen Sie? Der eine braucht neun Stunden Schlaf, der andere vier – so ist das eben, daran gibt es nichts zu hadern und auch nichts zu verändern.

3. Less Selbst-Perfektionismus

Das vorzeigbare Leben, wie es in den sozialen Medien suggeriert wird, treibt die Erwartungen an sich selbst nach oben, denn die anderen sind ja offenbar so erfolgreich – Stichwort „Instagramable Life“. Doch ist die Facette, die andere in den Social Media von sich zeigen, die ganze Wirklichkeit? Eben! Und davon ab: Müssen wir wirklich weitgehend perfekt sein? Warum nur dieser Anspruch?! Das Runterfahren der eigenen Erwartungen an sich selbst hilft, den gefühlten Zwang, etwas erfüllen und irgendwelchen Bildern gerecht werden zu müssen, rauszunehmen.

Das gefühlte Mithalten-und-Allem-gerecht-werden-Müssen ist ermüdend und raubt die Zeit, um bei sich selbst sein zu können. Es ist daher gut, sich von dem vordergründigen Glanz der Social-Media-Welt ein Stück weit zu disconnectieren.

Für das Reconnectieren mit sich selbst dient eine Werteanalye. Im (Selbst-)Coaching geht es um Fragen wie: Was will ich eigentlich? Was sind meine Bedürfnisse und meine Werte? Was entspricht mir wirklich? Und wovon trenne ich mich besser?

4. Less Vergleichen

Um zu sich selbst zu finden und seine eigenen wahren Ansprüche zu erkennen, hilft es, eine Angewohnheit aufzugeben, die nicht nur mit dem Blick auf die Social Media einhergeht, sondern auch außerhalb der sozialen Medien sehr verbreitet ist: das Vergleichen. Unser Problem: Je mehr wir haben, desto mehr wollen wir. Zufriedenheit im Jetzt und Hier ist vielen ehrgeizigen Führungskräften nicht möglich, weil sie ständig neue Ziele erreichen wollen, die noch höher geschraubt sind – und weil sie sich dabei ständig mit anderen vergleichen. Man ist unzufrieden mit sich und will so sein wie die anderen – dabei macht gerade das Messen und das Vergleichen noch unzufriedener. Es kultiviert innere Konflikte.

Selbstwirksamkeit bedeutet, selbst in der Kraft zu bleiben, bei sich selbst zu sein, also bei seinem Kern zu sein. Es geht um die eigene Kernkompetenz und nicht um das Adaptieren von Kompetenzen der anderen. Das heißt konkret: Es kommt darauf an, mir nichts aufladen, was ich nicht kann oder was mich aufreiben könnte. Wenn andere neben dem Job noch x Ehrenämter erfüllen, schön und gut. Aber wenn ich merke, dass meine Ressourcen aufgebraucht sind, brauche ich mir nicht noch privat die Aufgabe des Schatzmeisters im Yoga-Verein aufzuhalsen. Erst recht nicht, wenn ich nicht gut mit Zahlen umgehen kann.

Es geht immer um den Dreiklang: 1. Bei sich sein und sich selbst nicht verlieren, 2. sich und die eigenen Bedürfnisse nicht überspringen, 3. nicht – auf andere schielend – sich selbst fremdgehen. Nicht sich selbst fremdzugehen bedeutet auch, seine Energie und Stabilität nicht bei anderen zu suchen. Die größte Kraftquelle ist das eigene Zentrum. Jeder Einzelne von uns trägt eine persönliche Kraft in sich – und die gilt es freizulegen und anzuzapfen. Also: Less Ablenkung und Less Selbstirritation durch neidische oder sehnsüchtige Vergleiche.

5. Less Wettbewerbsdenken

Eine andere Form des Vergleichens, das neben dem sehnsüchtigen, anlehnungsbedürftigen Vergleichen verbreitet ist, ist das abgrenzende Vergleichen: der Wettbewerb. Wir wollen besser sein als andere.
„Grow or go“ oder „up or out“ sind berufliche Motivationsslogans, die den Wettbewerb befeuern und uns konditionieren. Sie folgen einem Jahrtausend altem Muster der Polarisierung, welches das „Ich“ und das „Du“ trennt, das „Wir“ und das „Ihr“ unterscheidet. „Wir hier sind die Guten, Ihr da drüben seid die Schlechten.“ Das gilt für Klassenverbände, für Abteilungen, für Firmen, für sonstige Organisationen, für Länder. Doch konkurrierendes Messen führt zu Unzufriedenheit, Überdruss und Härte – nicht nur gegenüber denjenigen, mit denen wir uns vergleichen, sondern auch gegenüber den eigenen Bedürfnissen. Es hindert daran, aus der eigenen Kraft und nach den eigenen wirklichen Wünschen zu leben – und es hindert, die Potenziale von Zusammenhalt und Gemeinschaft zu erschließen. Also: Less Wettbewerb! Oder anders gesagt: „Gemeinsam sind wir besser.“ Oder: Das WIR gwinnt!

6. Less Grenzüberschreitung

Bei sich und in seiner Energie zu sein, verlangt eigene Grenzen zu erkennen. Der Ballast des automatischen „Ja-Sagens“ gehört über Bord, stattdessen dürfen es öfter ein „Nein“ und konkrete Stopp-Symbole sein. Nicht NEIN sagen können ist kein Sprachfehler.
Warum nehmen Sie also einen Termin am Mittwoch um 18 Uhr an, wenn das Ihre Zeit zum Sportmachen ist? Ohne einen guten Ausgleich können Sie im Team nicht ausgeglichen und leistungsfähig sein. Ist es daher nicht sinnvoller das Meeting auf Donnerstag 8 Uhr zu verlegen?

Die größte Grenzüberschreitung aber ist es, sich selbst zu verlieren. Eigentlich ist es doch ein beruhigender Gedanke: Man ist nie alleine. Wenn sonst niemand mehr da ist, wenn keine Kolleginnen und Kollegen, keine Freundinnen und Freunde helfen können, dann hat man wenigstens noch sich selbst – vorausgesetzt, man ist wirklich bei sich, kennt sich und lebt sich. Mit dieser Gewissheit ist es leichter, gut für sich zu sorgen und nicht im Chaos des Führungsalltags im Außen zu versinken.

Mein Impuls daher an alle Führungskräften: Abstand gewinnen – und sich selbst finden

Langfristig ist es eine wichtige Aufgabe, immer wieder den Abstand zu uns selbst, zu anderen Menschen, zu unserer Arbeit und ihren einzelnen Aufgaben zu finden. Dadurch können wir vorbeugen, dass sich das Spannungsfeld zwischen eigenen Ansprüchen, äußeren Anforderungen und mangelnder Abgrenzungsfähigkeit weiter verschärft und wir allmählich ausbrennen. Mit Abstand sorgen wir dafür, dass wir im Alltagsstrudel nicht untergehen, sondern wir uns mit Kraft und Freude auf das Wesentliche konzentrieren. Das Paradoxe: Erst wenn wir dann und wann auf Abstand zu uns gehen, können wir letztlich an uns andocken, können wir erkennen, was uns wirklich entspricht – und dies dann auch tun.

Wesentlich dafür sind ein selbstempathisches Mindset und ein neues Verständnis von Selbstwirksamkeit. Wirksam sind wir, wenn wir bei uns selbst sind. Und nicht unbedingt, wenn wir unsere Zeit noch besser managen. Mit anderen Worten: Die Beurteilung, ob ein Aspekt wichtig ist oder nicht, ist von viel mehr abhängig als von Arbeitsstruktur und Organisationstalent. Es geht nicht um ein vordergründig besseres Funktionieren, sondern darum, eine neue, gesunde Haltung zur Arbeit zu entwickeln, die letztlich mehr bringt.

Darum: Wie wäre es, all das wegzulassen, was keinen Mehrwert bietet, was am eigenen Wachstum hindert, was langsamer macht, was lähmt und anstrengt? Wie wäre es, sich mehr zu erlauben? Der Hebel ist: less müssen, more dürfen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihre Bremshebel erkennen und mit einem neuen Mind-Set in ein leichteres Arbeiten gelangen. Fangen Sie gleich an und trennen sich von unwesentlichen zeit- und engergieraubenden Alltagslasten, um morgen mit Schwung neu durchzustarten!

Hören Sie unseren Podcast „Braindrops – Kreative Impulse für Führungskräfte“ zu weiteren Führungsthemen. Diese finden Sie auf den führenden Podcast-Kanälen, wie Google Podcast, Spotify, iTunes etc.

Bis zum nächsten Mal wünsche Ihnen eine stressfreie Zeit.

Stay tuned. Keep cool and carry on.

Kreative Grüße – Ihr Jörg Peter Schröder

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