„Sehen ist die Kunst, das Unsichtbare wahrzunehmen.“
Jonathan Swift

In der letzten Woche hat mich ein Fernsehteam vom SWR zum Thema Midlife-Crisis für die Landesschau Rheinland-Pfalz interviewt. Mir ist es wichtig, dass es gar nicht um den Blick auf eine Krise, sondern um das Erkennen von Chancen geht. Was machen wir als Best-Ager in den kommenden Jahren anders? Wie gehen Sie mit Umbrüchen um? Immer nur so weiter? Oder ganz anders?
Die Lebensmitte ermöglicht uns Vor- und Nachzudenken. Über uns selbst, über den Sinn des Lebens, über unseren Job und unser Wirken in der Welt.

Fangen wir also ganz locker an: Bitte nehmen Sie ein Maßband und legen Sie es ausgerollt auf einen Tisch. Schneiden Sie es nun an der Zentimetermarkierung ab, die Ihrem Alter entspricht. Der linke abgeschnittene Teil repräsentiert Ihre Vergangenheit. Sie ist vorbei und Sie haben sie überlebt. Schon mal gut zu wissen.
Je nachdem, was Sie so im Leben – beruflich und privat – gemacht haben, können Sie sich mit weniger oder mehr Respekt in Dankbarkeit von Ihren Eltern, Verwandten und Bekannten, und allen Menschen, die Sie – in welcher Form auch immer – seit Ihrer Kindheit bis heute begleitet haben, verneigen. Oder auch nicht. Sie können Ihnen danke sagen für Feedback, An- und „Abregungen“, kreative Geistesblitze und durchblutungsfördernde Ratschläge. Soweit der Abspann auf die Vergangenheit. Und Sie dürfen für sich selbst Bilanz ziehen, was in der ersten Halbzeit Ihres Lebens gut und was nicht gut gelaufen ist. Es geht nicht um eine Kummernummer, bei der Sie mit Ihrer Vergangenheit abrechnen, auch nicht darum, in alten Zeiten zu schwelgen, sondern sich mit der jetzigen Situation anzufreunden. Es geht einfach darum, jetzt neu und möglicherweise anders Position zu beziehen.

Neulich klagte ein 44-jähriger Mann darüber, dass er Herzrasen und Atemnot bekommt, wenn er mit dem Fahrrad einen steilen Berg hinauffährt. Ich sagte ihm, dass dies doch völlig normal sei. Er entgegnete mir, dass er mit 18 Jahren diese Steigung im dritten Gang geschafft habe. Doch diese Zeit ist vorbei. Wir können uns nicht mehr an den Leistungen messen, die wir mit 18 erbracht haben. Und das bedeutet auch, sich von diesen Errungenschaften zu verabschieden – und gegebenenfalls auch Trauerarbeit zu leisten, damit Neues entstehen darf. Wir dürfen uns nicht verleugnen. Wir sind, wie wir jetzt sind. Und genau dies gilt es zu akzeptieren.
In der zweiten Halbzeit im Spiel des Lebens stellt sich ein neues und anderes Gleichgewicht ein – so wie wir beim Fußball ja jetzt auch nicht mehr auf dasselbe, sondern auf das andere Tor schießen. Und das ist ein großer Unterschied. Den bemerken wir meist dann, wenn wir weiter uns weiter auf dasselbe Tor hin orientieren.

 

Die Lebensmitte zu fundierter Reflexion nutzen

Das Ende der ersten Halbzeit ist in einem Spiel ein ganz natürlicher Punkt, an dem man zurückschaut und das bisherige Spiel und sich selbst analysiert und hinterfragt. Und seine Position bestimmt. Dabei geht es darum, die Ist-Situation in den unterschiedlichen Facetten des Seins zu erfassen. Vom Rückblick aus werden wir dann zu neuen Zielen aufbrechen. Beleuchten möchte ich dabei die vier wesentlichen Eckpfeiler, die auch für die Work-Life-Integration, also die gute Balance zwischen den vier Eckpfeilern, wichtig sind:

  1. Gesundheitsförderung und Gelassenheit
  2. Persönliches Wachstum, Sinn, Werte und Spiritualität
  3. soziale Kontakte, Familie und Freunde
  4. Job, Karriere, Leistung.

Nehmen Sie dazu ein leeres Blatt Papier zur Hand, zücken Sie Ihren Stift und schreiben Sie all die Dinge auf, die Ihnen zu den nachfolgenden Fragen einfallen. Die Positionslichter für den Rückblick auf die erste Halbzeit im Spiel des Lebens können sein:

  • Ihre Gesundheit – wie gesund fühlen Sie sich jetzt? Haben Sie genug in Ihre Gesundheit investiert?
  • Ihr Alter – wie alt fühlen Sie sich? Gehören Sie knapp zur Generation 45 + oder ist es bereits 30 Jahre nach 12?
  • Ihr Befinden – wie fit fühlen Sie sich? Wie häufig und regelmäßig betreiben Sie Sport und Fitness?
  • Ihre Ausgeglichenheit – wie viel Entspannung haben Sie sich bisher gegönnt?
  • Ihre persönliche Wachstumskurve – wie viel Zeit und Energie haben Sie für Ihre Weiterentwicklung, in Sinnfragen und Spiritualität investiert?
  • Ihr Spaß im Leben – wie viel Spaß haben Sie im täglichen Sein?
  • Ihre gelebte Lebendigkeit – wie lebendig fühlen Sie sich jetzt?
  • Ihre Freunde – wie gut sind Sie in Freundeskreise eingebunden? Wie viel Zeit verbringen Sie mit Ihren Freunden?
  • Ihre Partnerschaft – wie gut gelingt Ihnen eine gute Beziehung?
  • Ihr Zeitmanagement – wie viel Zeit haben Sie für Ihre Familie und Ihren Lebenspartner?
  • Ihr beruflicher Erfolg – wie erfolgreich fühlen Sie sich?
  • Ihre Ziele – wie viel haben Sie bereits erreicht?
  • Ihr finanzielles Vermögen – wie gut können Sie mit Geld umgehen? Wie hoch ist das Vermögen, das Sie im Laufe der ersten Halbzeit aufgebaut haben?

 

Gefühlslebenslauf – Gefühlstagebuch

Hier eine kleine Übung für den Rückblick auf die erste Halbzeit im Spiel des Lebens: Nehmen Sie ein Blatt Papier, gönnen Sie sich eine ruhige schöne Musik und ausreichend Zeit, legen Sie die Beine hoch, schließen Sie die Augen und spüren Sie mal in sich hinein, was bei den folgenden Fragen und Impulsen für Antworten in Ihnen aufsteigen. Wichtig ist, dass Sie diesen Rückblick nicht primär an materiellen Dingen, Fakten und Details ausrichten, sondern an Ihrer inneren Erlebniswelt. Beleuchten Sie die erste Halbzeit auf der Basis der gefühlten Lebenszeit in Verbindung mit Ihrer inneren Körperwelt.

  • Wann haben Sie sich gut und voller Energie gefühlt?
  • Wie hat sich das in Ihrem Körper angefühlt?
  • Wie oft waren Sie in der ersten Halbzeit im Spiel des Lebens im Ballbesitz?
  • Welche Bälle haben Sie im Leben bisher verwandelt und welche nicht?
  • Welche hätten Sie gern verwandelt?

Es geht also nicht darum, zu beschreiben, wie Sie am 14. Juni 1990 ab 16.30 Uhr Ihre Abiturfeier begangen, sondern wie Sie sich anlässlich dieser Feier gefühlt haben. Waren Sie glücklich, dass die Schule endlich vorbei war, oder traurig, dass Sie all die netten Freunde nicht mehr täglich sehen würden?

Lassen Sie dabei Ihr Leben wie einen Film an Ihrem inneren Auge vorbeiziehen. Wenn Sie mögen, können Sie dabei ein paar markanten Meilensteinen besondere Aufmerksamkeit schenken, etwa indem Sie sich an den Jahrsiebten Ihres Lebens orientieren:

  • Was war zum Beispiel, als Sie 7 Jahre alt geworden sind? Vielleicht sind Sie gerade in die zweite Klasse der Grundschule gekommen. Wie haben Sie sich in diesem Alter gefühlt? Hatten Sie viele Freunde?
  • Was war, als Sie 14 Jahre alt wurden? Vielleicht erinnern Sie sich daran, wie Sie in der Tennis-Mannschaft gespielt haben? Wie fühlt sich das für Sie an, wenn Sie jetzt wieder in diesen Verein gehen müssten, um genau dort Tennis zu spielen?
  • Wie ging es Ihnen an Ihrem 21. Geburtstag? Welche Gefühle steigen in Ihnen hoch, wenn Sie sich an Situationen erinnern, als Sie so gerade 21 Jahre alt geworden sind?
  • Was war, als Sie 28 Jahre alt geworden sind? Erinnern Sie sich an ein bestimmtes Ereignis? Welche Emotionen sind damit verknüpft?
  • Was war im Alter von 35 Jahren? Beleuchten Sie die unterschiedlichen Facetten des Lebens: Ihre private Situation, Ihre Arbeit, Ihre Beziehung, Ihre Freunde. Welche Gefühle sind damit verbunden? Denken Sie gern an diese Zeit?
  • Was verbinden Sie mit Ihrem 42. Lebensjahr? Wie ging es Ihnen energetisch?
  • Und was ist jetzt gerade? Fühlen Sie sich stark wie ein Bär, der am liebsten Bäume ausreißen will, oder reicht Ihre Energie gerade noch dafür, den Wahnsinn der Normalität zu ertragen und das Nötigste zum Überleben zu erledigen?
  • Wie fühlt sich gute Lebenskraft an?
  • Was zieht Ihnen Energie ab und was gibt Ihnen Energie? Schreiben Sie auf, wer Ihnen wann Energie abzieht und wie sich das anfühlt. Notieren Sie danach – vielleicht in einer anderen Farbe – all das, was Ihnen Energie gibt. Und auch, welche Gefühle damit verbunden sind.

Bei vielen Coachinggesprächen ist die Midlifecrisis ein besonderes Thema. Gerade Menschen im Alter zwischen 45 und 51 beschreiben (durch die Rückkehr des Saturns) immer wieder Tiefpunkte, in denen es um die Dimensionen Sinn, Lebenszufriedenheit, Glück und Gesundheit geht. Nicht immer kommt es in dieser Phase zu einer Lebenskrise, doch die meisten verspüren irgendwann ein großes Loch. Um dem vorzubeugen, habe ich ein Midlifepower-Paket für Sie entwickelt.
Viele säen ihr ganzes Leben – ohne an das Ernten zu denken. Doch die Halbzeit erlaubt uns auch, an- und innezuhalten. Sie ist ein Erntedankfest. Also: Sie dürfen die Ernte einfahren und feiern. Und auch dankbar sein.

Reflexionsfragen auf dem Weg zur inneren Meisterschaft:

  • Wenn Sie für sich innerlich Bilanz über die erste Halbzeit im Spiel des Lebens ziehen, waren Sie eher erfolgreich und haben Tore geschossen oder haben Sie das Gefühl, gescheitert zu sein und viele Tore kassiert zu haben?
  • Hatten Sie sich Ihr Leben so vorgestellt, wie es bisher verlaufen ist?

So bleiben Sie am Ball: Der erste Schritt zur Weiterentwicklung ist die Bewusstseinsschärfung. Sie beginnt mit der Wahrnehmung, was jetzt gerade ist. Und mit dem Akzeptieren dessen, was ist. Wir werden Schritt für Schritt weitergehen.

Den Link zum SWR-Fernsehbericht zum Thema Midlife-Crisis in der SWR-Mediathek finden Sie hier.

 

Halbzeit - Der Weg zur inneren MeisterschaftKennen Sie schon mein Buch „Halbzeit – Der Weg zur inneren Meisterschaft“? Das Buch ist ein Spielplan für die zweite Spielhälfte des Lebens und ein Trainingsleitfaden für Best-Ager in der Lebensmitte im Alter von 45+. Es ist ein Buch für die Pause nach der ersten Spielzeit – eine Zeit für Reflexion und Positionsbestimmung. Der Schwerpunkt liegt auf der spielerischen Umsetzung der Ratschläge aus diesem Buch in die Lebenspraxis. Gedanken-Anstöße, Visions-Flanken, Impuls-Freistöße und Sturmspitzen im Möglichkeitsraum dienen dazu, die Überlegungen, anders als bisher, mühelos in die Tat zu verwandeln. Es geht nicht um das Herumdribbeln im Leben oder wie oft Sie statistisch im Ballbesitz waren, sondern darum, dass Sie Ihren Ball im Heimspiel ins Tor bringen – authentisch, gesund und mit Leichtigkeit. 

 

Bis zum nächsten Mal wünsche Ihnen eine stressfreie Zeit.

Stay tuned. Keep cool and carry on.

Kreative Grüße – Ihr Jörg Peter Schröder

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